Sonntag, 15. August 2010

Phantom Uwe

Eine wahre Geschichte

Von Klaus Sebastian


Als Tourist ist man in Pattaya schnell überfordert. Nicht nur in der Hauptsaison drängen sich Gäste aus aller Welt durch hunderte von verstopften, fußballfeldgroßen Bier-Bar-Plazas. Auch die Zahl der Restaurants, die Spezialitäten aus aller Welt darbieten, ist kaum zu beziffern. Wer durstig ist oder wen es nach schwäbischer, laotischer oder kanadischer Kost gelüstet, der lässt sich deshalb gern von einem Einheimischen beraten.
Als ich Uwe an einem Oktoberabend an einer Bar kennenlernte, zeigte das Thermometer auf 33 Grad und ich verspürte eigentlich wenig Lust auf Gulasch mit Knödeln. Doch er beharrte darauf - dieses Gasthaus sei ein Geheimtipp, und im Übrigen sei er ja selbst Inhaber und Koch in einer Person.
Ins Gespräch gekommen waren wir, weil meine Augen sich nicht von seinem schicken silber-schwarzen Honda-Phantom-Motorrad lösen wollten. Er informierte mich sogleich über die technischen Daten der Maschine und nannte mir die Adresse eines Thai, der genau dieses Modell vermietete.
„Mensch, dann komm doch morgen Mittag vorbei. Da koch ich Gulasch, schmeckt wie daheim. Ich hab einen Metzger an der Hand, der besorgt mir das beste Fleisch!“

Uwe lebte schon seit sechs Jahren in Pattaya. Er wusste, wie und wo etwas läuft, und ich als blutiger Neuling war dankbar für jeden Hinweis. Unsymphatisch war er mir ohnehin nicht. Sein lustiger bayrischer Dialekt schlug unüberhörbar durch; der Akzent war aber nicht so urig, dass man einen Dolmetscher gebraucht hätte. Als angenehm empfand ich auch, dass Uwes Vorrat an Anekdötchen unerschöpflich schien. Er quasselte und schwadronierte, erzählte von den Macken der Thais, von seiner thailändischen Frau und von seinen zahlreichen Seitensprüngen - hauptsächlich davon. Geduldig ließ ich diesen endlosen Redestrom über mich ergehen. So musste ich mir praktischerweise keine eigenen Gedanken machen – schließlich war ich zur Erholung hier – und konnte in aller Ruhe das Treiben der Barmädels im Auge behalten. Um ehrlich zu sein: Uwes wahre oder erlogene Geschichten fand ich durchaus amüsant; er war ein begabter Erzähler, der mir einen unterhaltsamen Abend bescherte.

Während sein Habichtblick die Güteklasse der weiblichen Belegschaft jenseits des Tresens abschätzte, brüstete er sich mit einer seiner Bettgeschichten.
„Einmal Uwe, immer Uwe, sagen die Mädels, wenn sie meine Qualitäten kennengelernt haben.“ Er lachte und nahm einen Schluck aus der Chang-Pulle. „Jedenfalls, an dem Abend hatte ich mich mit einer kleinen Eroberung im Hotelzimmer eines Kumpels amüsiert. Mein Gott, ich bin zwar verheiratet, aber manchmal brauch ich das eben. Guck dich doch mal hier um – zu viele Versuchungen, verstehst du?“
Ich verstand ihn nur zu gut. Eine Kleine aus Korat mit Stupsnase und einem niedlichen Silberblick hypnotisierte mich schon seit einer halben Stunde. Jetzt kicherte sie mit ihren Kolleginnen und schaute dann wieder schmachtend in meine Richtung.
„Gegen elf hab ich die Kleine zu ihrer Unterkunft gebracht und bin dann nach Hause. Und jetzt rat mal: Meine Frau stand schon mit dem Kleiderbügel hinter der Tür! Wollte mich verdreschen. Die riecht sowas. Keine Ahnung, muss wohl Intuition sein. Ich nehme ihr also den Kleiderbügel ab, sie keift und kreischt – ist sonst ein ruhiges Mädel, aber wenn sie eifersüchtig ist, kann es gefährlich werden. Dann, im Eifer des Gefechts, zieht sie mir die Hose runter, dann die Unterhose und schnüffelt an meinem Prachtstück rum. Kein Scherz! Auf so eine Idee würde eine deutsche Frau doch nicht kommen, oder?"

Ich muss wohl ziemlich erstaunt aus der Wäsche geguckt haben, denn er schwört nun, das sei die reine Wahrheit.
„Das macht die wirklich.“
„Und, wie ist diese Riech-Inspektion ausgegangen?“
Er lacht und zwinkert einer der Bar-Ladies zu.
„War ja nicht das erste Mal, dass sie so eine Aktion startet. Also hab immer frische Unterwäsche und Seife dabei, wenn ich mal auf Montage gehe. Kein Geruch, keine Indizien!“
Er grinst spitzbübisch und prostet mir zu.
„Also kommst‘ morgen zum Gulasch, okay?“
„Alles klar.“
Wir zahlen, er schwingt sich auf seine Phantom und braust mit dem erhobenen Daumen im Wind davon.


Sein Bayernstübl lag in einer Nebenstraße. Allein hätte ich nie dahingefunden. Uwe kam aus der Küche, wischte sich die Hände an der blauweißen Schürze ab und begrüßte mich überschwänglich.
„Grüß Gott, alter Saupreiss!“

Dann stellte er mich seiner Frau vor, die mir schüchtern die Hand reichte. Sie hatte nichts von jener Furie, die Uwe mir am Vorabend ausgemalt hatte. Am Nebentisch saßen bereits einige Stammgäste, die sich mit gutem Appetit über die üppigen Gulaschportionen hermachten.
Im Laufe meiner Ferien traf ich Uwe und seine Frau Gäo noch mehrere Male wieder. Er hatte wirklich Glück mit seiner aus Buriram stammendenThai. Sie war eine fleißige, ernsthafte Frau, und sie tat mir ein wenig leid, weil sie an so einen schlitzohrigen Butterfly-Farang geraten war.


Circa elf Monate später trieb ich mich wieder am Golf von Thailand herum. Als ich Uwe am Morgen in seiner Kneipe besuchte, war ich von seinem Anblick einigermaßen schockiert. Unter seinen Augen hingen schwere Tränensäcke, seine Nase war leicht angeschwollen und violett gefärbt, seine Haare wucherten fettig über den Hemdskragen. Da er um elf Uhr morgens schon vor seiner Chang-Flasche saß, lag die Diagnose nahe: Uwe hatte ein massives Alkoholproblem. Er begrüßte mich fröhlich, und ich orderte aus alter Freundschaft auch ein Bier. Offensichtlich hatte er der altbekannten Wirtshausbetreiber-Versuchung nicht widerstehen können, schon in aller Herrgottsfrühe mit den Gästen um die Wette zu zechen. Wenn daraus eine Gewohnheit wird, endet man bald wie Uwe – verwahrlost und alk-abhängig.

Seine Frau sei bei ihrer Familie in Buriram, erzählte er.
„Nun habe ich sturmfreie Bude!“ Er erzählte mir prahlerisch von seinen neuesten Bettgelagen, doch seine Geschichten kamen mir nun übertrieben und zotig vor. Es steckte keine Ironie, kein Humor mehr darin. Uwe hatte sich offensichtlich in einen billigen Aufschneider verwandelt, der seine Zuhörer nervte und anödete. Die klebrigen, tagealten Flaschenbodenränder auf der blauweißen Plastiktischdecke verrieten mir, dass es anscheinend auch mit seinem Lokal steil bergab ging.
„Meine neue Bettmaus schläft jetzt hier, solange meine Frau nicht da ist“, brabbelte er und richtete seinen glasigen Blick auf mich.
„Und die Nachbarn – hast du keine Angst, dass da jemand quatscht?“
„Ach Unsinn.“
Er zeigte mit Stinkefinger zur Eingangstür.
„Die halten dicht. Die mögen mich. Und diejenigen, die mich nicht mögen, haben Schiss. Ich hab jetzt nämlich beste Verbindungen zur Unterwelt, ob du’s glaubst oder nicht!“
Ich wusste nicht, ob ich das glauben wollte. Wie gesagt, er ödete mich an und es bedrückte mich, mit ansehen zu müssen, wie schnell der Alkohol einen vormals sympathischen Menschen deformiert hatte. Ich trank mein Bier aus, verabschiedete mich traurig und musste mir eingestehen, dass ich auf ein Wiedersehen keinen besonderen Wert legte.
Dennoch traf ich Uwe wieder – genau zweimal.

Ungefähr eine Woche nach dem Besuch in seinem Stübl sah ich ihn an seiner Stamm-Bar wieder. Seine makellos blitzende Honda-Phantom hatte er in unmittelbarer Nähe aufgebockt. Ich überlegte noch, ob ich mich unauffällig verdrücken sollte, doch er hatte mich bereits entdeckt. Er schlug mir zu kräftig auf die Schulter und bestellte zwei Chang. Alles an ihm wirkte nun übertrieben und aggressiv – seine Gesten, seine Sprüche, seine Geschichten. Von der Story, die er mir an diesem Abend auftischte, glaubte ich kein Wort. Wie sich später herausstellte, war das ein Fehler.
„Leider hattest du Recht“, lallte er nun.
„Wieso?“
„Nun, eine Nachbarin hat tatsächlich gequatscht. Hat meiner Frau alles erzählt von meiner heimlichen Geliebten, verstehst du?“
„Oh Gott. Und jetzt ist die Kacke am dampfen, was?“
„Na klar. Gäo ist mit dem Messer auf mich los. Und jetzt ist sie wieder bei ihrer Family. Schöne Scheiße. Aber diesem Miststück, das sein Maul nicht halten konnte, der hab ich es heimgezahlt.“

„Deine Frau hat dir erzählt, wer dich verpfiffen hat?“
„Aber sicher. Musste sie doch. Ich hab ja erstmal alles abgestritten. Die Nachbarin, zwei Häuser weiter, war es, diese Giftspritze. Na, die wird ihr Maul nun nicht mehr aufreißen!“
Er fixierte mich mit einem ekstatisch-irren Blick, der mir ein wenig Angst einflößte. Ich fühlte mich von Mal zu Mal unbehaglicher in seiner Gesellschaft.
„Hab dir doch gesagt, dass ich meine Connections habe. Also – ich habe meinem Verbindungsmann 5000 Baht gezahlt und er hat die Sache für mich erledigt.“
Er ließ ein verächtliches Lachen vom Stapel.
Ich glaubte ihm kein Wort. Vermutlich wollte er die Wahrheit nur zurechtbiegen, um wieder als Held dazustehen. Dennoch interessierte mich der Rest der Geschichte.
„Was hat er erledigt?“ fragte ich.
„Er hat diesem Miststück am Abend aufgelauert und ihr ratzfatz mit einem Chirurgenmesser die Nasenflügel aufgeschnitten – von hier bis hier!“
Er fuhr langsam mit dem Zeigefinger an den Seiten seiner Nase hoch.
„Die ist entstellt für ihr Leben! Wird sich überlegen, ob sie nochmal das Maul aufreißt.“

Mein Mund war trocken. Ich nahm noch einen Schluck und verabschiedete mich kurz darauf unter einem Vorwand.

Wie gesagt – ich hielt diese Geschichte für die Phantasterei eines Alkoholikers. Dass ich mich möglicherweise irrte, zeigte sich eine Woche später.
Es war Kaffee-Zeit und ich verspürte Lust auf Cappuccino und ein Croissant im „Au bon Pain“. Auf der Höhe des Marriot spähte ich nach einer Lücke im dichten Verkehr. Im selben Moment fuhr Phantom-Uwe auf der gegenüberliegenden Spur der Beach-Road an mir vorbei. Er trug eine verspiegelte Sonnenbrille und hatte mich nicht gesehen. Ich hingegen spürte bei seinem Anblick ein heftiges Ziehen in der Magengrube. Beinahe hätte ich ihn nicht erkannt, denn unter der Sonnenbrille war seine Nase mit einem absurd aus dem Gesicht ragenden weißen Mullverband mumienhaft verpflastert.

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